Sonntag, 11. März 2018

"Früher war alles besser"

Ich hab mir in letzter Zeit öfter mal wieder alte Fernsehformate angeschaut, nicht zuletzt, weil dazu immer mal was im TV lief.

Dabei ist mir eine Sache aufgefallen. Die Leute, die in den 60ern, 70ern und 80ern in irgendwelchen Shows herumsaßen, hatten etwas zu sagen. Das waren immer Leute mit Haltung. Und die hatten meist auch Bock, was zu sagen, und falls nicht, haben sie das deutlich signalisiert.
Selbst Menschen aus gesellschaftlichen Gruppen oder mit verqueren Ansichten hörte man zu und setzte sich mit deren Aussagen auseinander.

Die Menschen, die damals im TV zu sehen waren, waren ungeheuer authentisch, echt, mit Ecken und Kanten. Man fuhr dem Moderator auch mal über den Mund, man zeigte auch mal Widerwillen, schlechte Laune oder Geringschätzung - was das Gespräch für den Zuschauer aber um so intensiver werden ließ - zumindest für mich.

Und ich habe gemerkt, wie sehr mir sowas fehlt. Wie sehr mir im Fernsehen die Quer- und Charakterköpfe fehlen, die auch mal Negatives zu berichten hatten und dabei ihren Gefühlen freien Lauf ließen. Genau wie Talkmaster, die auch mal unbequeme Fragen stellten.
Die Talkshows von heute sind vor allem eines: vorhersehbar. In politischen Talks sitzen immer dieselben Politiker-Nasen, von denen man schon vorher weiß, was sie wohl sagen werden, weil sie das schon in drei anderen Shows zuvor gesagt haben, und weil man sie eben kennt, weil sie jede Woche irgendwo im Fernsehen sitzen.

In den mehr boulevardesken Formaten sitzen auch immer dieselben Schauspieler, Sänger und Medien-Personen, nicht weil  sie das wollen oder einfach Bock drauf haben, zu irgendeinem Thema ihre Meinung zu sagen, sondern weil sie auf Promo-Tour für ihren neuen Film, ihr neues Album oder ihr neues Buch sind. Dann beantworten sie brav lächelnd zum 100sten Mal die Frage, worum es in dem Buch oder Film den geht und ob man dafür viel recherchieren mußte. Alles brav einstudiert, pflichtgemäß und mit aufgesetzter Leidenschaft. Redet man nicht darüber, redet man halt über den neuen Hund, übers Abnehmen oder über eine kürzlich überwundene Krankheit.

Kontroverse Themen kommen in diesen Formaten kaum noch vor, und falls versehentlich doch mal etwas Substantielles angesprochen wird, schwenken ohnehin alle Anwesenden auf die politisch korrekte Mainstream-Meinung ein, und damit hat es sich. Alles läuft nur unter dem weichgespülten Konsens: Ich tu dir nicht weh, du tust mir nicht weh.

Wann habt ihr das letzte Mal im TV jemanden streiten sehen, dass jemand mit Verve und Leidenschaft für seine Überzeugungen eintrat und auf ein Gegenüber traf, der genau so inbrünstig für seine Meinung stritt, und am Ende so etwas wie Erkenntnisgewinn dabei herauskam, für die Diskutierenden und für den Zuschauer?

Debatten mit Politikern schließe ich hiervon kategorisch aus. Dass sich Sarah Wagenknecht und Alice Weidel nicht einig sein werden, das steht schon fest, bevor die Sendung anfängt. Diese kalkulierten Kontroversen führen auch nie zu Erkenntnisgewinn oder Konsens.

Überhaupt: Diese ganze political correctness geht mir auf den Arsch.
Einerseits ist es natürlich kommunikativ und zwischenmenschlich ein Gewinn, wenn man bei Diskussionen und Disputen auf Wutausbrüche, Geschrei und Beleidigungen verzichtet. Vermutlich kommt man auch schneller zu erhofften Verständnis und Kompromiss.

Dabei bleibt allerdings ein auf der Strecke: die Emotion. Die Wut, Verzweiflung, Enttäuschung, Angst und Ärger, die wir vor oder bei Konflikten empfinden, löst sich ja nicht einfach nur dadurch in Luft auf, weil wir gelernt haben, gewaltfrei auf Meta-Ebenen herumzukrabbeln und uns in die Sichtweise unseres Gegenübers hineinzuversetzen. Der Ärger, der sich in unserem Körper auch biochemisch manifestiert, steckt uns zumindest anteilig weiter in den Knochen. Und zwar so sehr, dass selbst ein allgemein friedfertiger Mensch wie ich, der Kriege und Kriegswaffen verabscheut und Faustkämpfen wenig abgewinnen kann, sich das ein oder andere Mal wünscht, jemandem gepflegt eins aufs Maul zu geben.

Meist passiert das an dem einzigen Ort, an dem man mit seiner Aggression allein ist (denn selbstverständlich darf die Umwelt möglichst wenig davon mitbekommen, das wär ja peinlich): der weitgehend schalldichten Kabine des eigenen Kraftfahrzeugs. Dort können wir toben, schreien und fluchen wie sonst nirgendwo in unserer Lebenswelt, und die Umwelt bekommt davon allenfalls gestisch und mimisch etwas mit.

Denn das wirklich Blöde an dem gegenwärtigen Zeitgeist ist doch, dass wir Hunger, Tod und Teufel um uns herum so abgebrüht wegignorieren können wie kaum eine Generation vor uns, es aber für einen proletenhaften Fauxpas halten, dem Gegenüber ins Gesicht zu sagen, dass er ein Arschloch ist, selbst wenn dieser sich zweifelsfrei als solches erwiesen hat.

Meine letzte These dazu: Menschen sind eine Spezies, die versucht, ihre latenten Aggressionen unter einer dünnen Schicht Zivilisation zu verstecken. Dabei schränken wir unsere Möglichkeiten, die destruktive Energie unserer Aggressionen zu kanalisieren und irgendwohin abzuleiten, immer weiter ein, weil wir uns ihr Vorhandensein gar nicht mehr eingestehen mögen. Dabei vergißt der Zeitgeist aber, dass Dinge nicht allein dadurch verschwinden, dass man sie ignoriert, und vieleMenschen bleiben auf einer wachsenden Blase zerstörerischer Energie sitzen, weil ihnen ein "Blitzableiter" dafür fehlt.

Vielleicht ist darin ja auch eine Ursache rechten Gedankenguts zu suchen. Denn was ist dies anderes als ein Ausdruck destruktiver Energie?

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