Sonntag, 1. Mai 2011

München vs. Leipzig

München und Leipzig haben für mich so gut wie nichts gemeinsam, sieht man von der Tatsache ab, daß hie wie da lauter Sachsen arbeiten. München ist das Dorf, in dem ich lebe, Leipzig das Örtchen, in dem ich gerne leben würde. Leider werden in letzterem derart miese Gehälter gezahlt, daß ich, würde ich dort arbeiten, wohl aus Kostengründen auf meine wöchentliche Import-Ration bayrischen Leberkäses, von Zwergen in alpenländischen Wurst-Minen aus dem Basalt geschnitten und von Elfen liebevoll mit süßem Senf bestrichen, verzichten müßte. Stattdessen gäbe es wohl mindestens dreimal pro Woche „Gardoffeln mid Gwarg“, ein Gericht, dem meine herzlich empfundene Abneigung gilt.

Andererseits kostet ein Stück Erdbeerkuchen in Sachsens heimlicher Hauptstadt nur einen Euro. Mit dem Kompromiss könnte ich daher vielleicht sogar leben.

Ansonsten ist Leipzig all das, was München gern wäre, wenn sich im Werbespot wildfremde Menschen aller Couleur über einem Glas Paulaner in den Armen liegen: weltoffen, international, charmant. In Wirklichkeit begegnet einem der eingeborene Münchner eher mit einer raubeinigen Herzlichkeit, die keinen Zweifel daran läßt, daß man als Nicht-Münchner doch irgendwie vom Leben in der bayrischen Großstadt bzw. vom Leben überhaupt nur bedingt Ahnung hat. Eingebürgerte Zugereiste sind da sogar manchmal noch schlimmer, wenn sie mit blasierter Weltstadt-Attitüde dem Touristen ein „Oachkatzerlschwoaf“ abnötigen (s. auch hier). Was sich am Ende als nicht halb so schwierig auszusprechen erweist, wie immer alle (Bayern) tun.

Um es kurz zu machen: In München regiert das Bürgertum, rechts und vor allem links davon gibt es nicht viel. Die Handvoll Punks, die die in dieser Hinsicht berüchtigte Münchner Polizei noch nicht mit einem eindeutigen „Auf Nimmerwiedersehen“ vor die Stadtgrenze chauffiert hat, fallen in der 1,7–Millionen-Metropole gar nicht auf. Vermutlich sind auch die paar Übriggebliebenen nur bei der Tourismus-Behörde angestellte Statisten, damit die ganzen Japaner was zum Knipsen haben. Und rechts ist man traditionell auch nur in CSU und Bayernpartei, alles andere widerspräche ja dem dehnbaren Grundsatz der „Libertas Bavariae“ – dem „Leben und leben lassen“.

In Leipzig aber sitzt tatsächlich die Omi neben dem Punk im Straßencafe und überläßt ihm die Hälfte ihres Döners. Hier flirtet man mit der Verkäuferin im Jeans-Shop, wofür augenzwinkernd ein netter Rabatt herausspringt, oder mit der Bedienung im Restaurant und erfährt dafür, wo es abends die beste Live-Musik gibt. In München erntet man für solcherlei nette Zudringlichkeiten höchstens befremdliche Blicke und eine Anzeige wegen sexueller Belästigung.

Überhaupt scheinen die Leipziger ihren Jobs mit mehr Enthusiasmus und heiterer Gelassenheit nachzugehen als die Einwohner der "Weltstadt mit Herz". Böse Zungen behaupten, weil Jobs in Sachsen rarer gesät sind - mag sein. Aber egal ob Putzfrau, Hotel-Hausmeister oder Backwarenfachverkäuferin*, alle begegnen einem mit freundlichem Gruß und einem von Herzen kommenden „Gomm rein, mei Gudsder“-Lächeln. Ich bin noch nie so höflich von einem Punk angeschnorrt worden wie vor dem Leipziger Hauptbahnhof.

In München hingegen hat man als Kunde allzu oft das Gefühl, ein minderbemittelter Bittsteller zu sein, dem vom Verkäufer großzügig gestattet wird, in seinem Refugium Geld auszugeben. Wobei sich in teureren Geschäften das Maß an Freundlichkeit, das einem zu Teil wird, streng an der potentiellen Spendabilität mißt. Zu diesem Zweck wird man von speziell geschulten Verkäufern beim Betreten des Laden in Sekundenschnelle taxiert, erst dann folgt die Begrüßung - oder eben auch nicht.
In Münchner Discount-Läden ist derweil die klassenlose Gesellschaft, wie Marx sie sich erträumt hatte, längst Realität: Alle Kunden werden gleich Scheiße behandelt. Dort sollte der Verfassungsschutz mal hinschauen. In München ist jede Schlecker-Filiale eine potentielle Brutstätte des Kommunismus.**

Verloren hat Leipzig allerdings, wenn man sich den ÖPNV beider Dörfer betrachtet. In München brettern noch in tiefster Nacht mürrische Busfahrer mit ihren fahrgastlosen Ungetümen  durch die hintersten Winkel der Vorstadt. Leipzig-Besucher dagegen müssen sich allenthalben für längere Fußmärsche wappnen, sobald sie den Stadtkern verlassen. Wobei sich Trinkflasche, Regenschutz und Zelt durchaus als nützlich erweisen können.

Zudem rumpumpeln in der Sachsen-Metropole modernste Trambahnen über ein antik anmutendes Schienennetz. Als Fahrgast hat man das unvermeidliche Gefühl, in einem Leiterwagen mit losen Rädern über eine horizontal verlaufende Geröllhalde gezogen zu werden. Die damit einhergehende Geräuschkulisse macht Gespräche zwischen Fahrgästen schlicht unmöglich. Kohlensäurehaltige Getränke sollte man tunlichst nicht per Tram transportieren, die fliegen einem aufgrund es Gerüttels nach Fahrtende garantiert um die Ohren.

Man hätte wohl eher in die Tram oder in das Straßennetz (das in weiten Teilen noch immer aussieht wie kurz nach dem Bombenangriff der Royal Air Force) investieren sollen als in den gigantomanischen Neubau einer U-Bahn. Denn erstens verstehen nicht mal die Leipziger so richtig, was das Mammut-Projekt überhaupt soll, zweitens ist aufgrund des Baus die Leipziger City, speziell der Marktplatz, seit Jahren Großbaustelle, und drittens haben sich die Kosten des Projekts seit Planung mehr als verdoppelt und liegen mittlerweile bei fast eine Milliarde Euro. Leipzig 21, sozusagen.

Was Leipziger und Münchner eint: ein für Ortsfremde kaum entschlüsselbares ÖPNV-Tarifsystem, ein gewisser Hang zur Renitenz, wenn auch unterschiedlich motiviert***, und eine breite Schicht esoterisch interessierter Bildungsbürger-Hobbykünstler-Makroidiotiker, die sich in beiden Städten eingenistet hat (s. auch hier). Vom Typ „Deutschlehrerin mit Klamotten in den Farbtönen Grün und Orange, aus glücklicher Baumwolle geklöppelt und erworben im Dritte-Welt-Laden, die linksdrehende Zimt-Einlagen in ihren Stroh-Sandalen trägt, gern mal Patchouli-Räucherduft durch ihr Didgeridoo saugt und fest daran glaubt, daß man mit Himalaya-Salz und Morgenurin so ziemlich jede Krankheit des Planeten heilen kann“ – die Sorte. Früher konnte man noch zu 99% davon ausgehen, daß solche Vollkorn-Uschis Grün wählen, heute kann man sich seiner Sache da nicht mehr so sicher sein. Sogar in den Reihen der Neonazis findet man solche volkstümelnden Gewürzgurken-Faschisten. Die hocken dann im Hanf-Outfit Met saufend ums Sonnenwend-Feuer und  halten seit dem Fund der Himmelsscheibe von Nebra die Germanen für die größten Leuchten seit der Erfindung der krustenlosen Brotsuppe.

Zurück nach Leipzig. Dort durfte ich in einer Boutique für überteuerten Designer-Tand zwischen mundbemalten Mouse-Pads und Kugelschreibern auf Torfbasis folgender Konversation lauschen, die zwischen zwei Vertreterinnen obiger Spezies ausgetregen wurde, die eine Verkäuferin, die andere Kundin (den Anfang hab ich leider nicht mitgekriegt):

Dinkelbrotjunkie: „Bei uns im Haus ist auch gar keine Sexualität.“ (der Michel wird hellhörig)

Dinkelbrotjunkie, weiter im Text: „Also, bei meinen Mitbewohnern, da spielte sich gar nichts ab, da ging gar nichts. Ich hab da ja mit ein paar Leuten zusammengewohnt. Das ist erst nach dem Umzug besser geworden.

Trommelkreishippie, betroffen: „Ach! Wegen der Farben?

Dinkelbrotjunkie, kopfschüttelnd: „Das lag an den vorherigen Bewohnern. Da war gar keine Liebe in der Familie, überhaupt keine. Und das überträgt sich dann auf das Haus, die Wände, das merkt man ja dann. All diese negative Energie…

Trommelkreishippie: „Die Wohnung muß man dann reinigen lassen, schamanisch!

Dinkelbrotjunkie: „Ja, das geht…“ (an dieser Stelle habe ich dann fluchtartig den Rückzug angetreten)

Das reicht zwar nicht, um eine neue Rubrik "Bekloppte in Leipzig" aufzumachen, aber als Beweis, daß die Internationale der Spinner auch in Leipzig eine Filiale hat, genügt mir die Episode allemal.

PS: Falls der Eindruck entstanden sein sollte, daß es in München nur unfreundliche und blasierte Servicemitarbeiter gibt: Das stimmt nicht. Schließlich arbeiten ja im größten Dorf, wie eingangs erwähnt, mittlerweile eine erkleckliche Anzahl freundlicher Sachsen…

*) Da können sich die Pflaumen von Müller Brot mal eine dicke Brotscheibe abschneiden.

**)Obwohl das auch nicht ganz stimmt, denn der Verkäufer ist immer noch König in seinem Laden. Somit geht das dann doch eher in Richtung „kommunistische Monarchie“, so wie Rumänien unter Ceausescu.

***) Leipziger gingen z.B. auf die Straße, um ein ungeliebtes Regime zu stürzen. Münchner dagegen bekommt man auf die Barrikaden, wenn man einen Biergarten eine Stunde früher schließen will.

1 Kommentar:

Der Scheppert hat gesagt…

Wow! Nicht schlecht. Da müsste ich doch glatt mal einen Vergleich der Leipziger mit unseren Leuten anstellen (der Hr. Scheppert ist ja oftmals das Mutterschiff des nörgelnden Ostberliners).
Jedenfalls war auch ich immer hochgradig verwirrt, wenn mich in der Messestadt ein Taxifahrer oder eine Bemmen-Verkäuferin unvoreingenommen und freundlich ansprach.

Gruß Schepp

P.S: Rusch ma doch dän buggel runnda!